RP Kahl -
Filmmaker, Artist, Performer, Professor für Film
Text von Rose Chambers
Für die Frankfurter Rundschau ist Kahl »einer der wenigen wirklich unabhängigen deutschen Kinoerzähler«, er bewegt sich in seinen Arbeiten als »Grenzgänger« FAZ und »Freigeist und Macher« Zitty zwischen den Welten des Kinos, der Kunst und der Performance.
Den Beginn der Karriere des »Workaholic« Stern könnte seine Hauptrolle als 20jähriger in einer Inszenierung bei Heiner Müller/ B.K. Tragelehn am Maxim-Gorki-Theater Berlin im Jahr 1991 markieren. Parallel dazu absolviert er eine Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst E. Busch Berlin, Außenstelle Rostock und arbeitet zeitgleich u.a. am Nationaltheater Weimar, dem Deutschen Theater Berlin und dem Maxim-Gorki-Theater Berlin. Ebenfalls stehen parallel zur Theaterarbeit und Schauspielausbildung erste Rollen in TV und Film an: Gemeinsam mit Ulrich Mühe in Jugend ohne Gott (1990, Regie: Michael Knof) oder beim Spielfilmdebüt Tom Tykwers Die tödliche Maria (1993).
Doch schon bald zieht es Kahl hinter die Kamera. Ohne spezielle Filmausbildung dreht er mit dem Kurzfilm Ausgespielt im Jahr 1995 seinen ersten eigenen Film. Wie ein Ufo landet im Jahr 1997 der Film Silvester Countdown im deutschen Filmbusiness und wird einer der erfolgreichsten deutschen Filme auf internationalen Festivals des Jahres (San Sebastian, Rotterdam, Toronto, Karlovy Vary u.v.a.). Auf dem Münchner Filmfest im Jahr 1997 gibt es den renommierten Hypopreis. Silvester Countdown ist das Langfilmdebüt von Oskar Roehler. RP Kahl - »ein junger Wilder aus dem Berliner Underground« Frankfurter Rundschau - produziert dieses Werk gemeinsam mit Roehler ohne Unterstützung einer Förderung oder eines TV-Senders. Die von Kahl entdeckte Marie Zielcke spielt hier ihre erste große Rolle an der Seite von Kahl als Liebespaar auf Abwegen: »Kahl hat eine nervöse Energie, die ihm im deutschen Kino so leicht keiner nachmacht« Süddeutsche Zeitung
Sofort im Anschluss wirft sich Kahl in ein neues Abenteuer, den Kinofilm Angel Express, von dem der Tagesspiegel schreibt: »Genießt schon Kultstatus«. Dieses Mal arbeitet Kahl mit der Unterstützung des Produzenten-Icons Luggi Waldleitner der Münchner Roxy-Film. Waldleitners letzter Film einer langen Produzentenkarriere stellt Kahls Langfilm-Regiedebüt dar. Angel Express (1998), zu dem er auch das Buch schrieb, festigt Kahls Ruf als »eine der Hauptfiguren der deutschen Independent-Szene« Der Schnitt. Mit dieser «Techno-Sinfonie einer Großstadt – ein wilder, schräger Geniestreich» Tagesspiegel gelingt Kahl die besondere Energie Berlins der 90er Jahre einzufangen: »Ein Berlinfilm, ein Technofilm, ein Rauschfilm und überhaupt ganz großes deutsches Kino« Deadline
Kahls Ruf als ausgewiesener Experte für die Visualisierung von elektronische Musik führt ihn zu mehreren Musikvideo-Kollaborationen mit Stars der Technokultur der 90er wie Tanith oder Genlog. Anfang der 2000er kreiert Kahl mehrere Werke für 2Raumwohnung und deren Plattenlabel, wie auch ungewöhnliche Arbeiten für die Werbung.
Er kehrt auch zum Theater zurück, dieses Mal jedoch als Regisseur und Autor, u.a. in die Sophiensäle Berlin mit einer Uraufführung des Pop-Literaten Till Müller-Klug. Mehrere Produktionen bringt er am Jungen Theater Göttingen heraus, das in dieser Zeit durch seine ausschließlichen Uraufführungen der sogenannten deutschen Pop-Literaten (Bessing, von Uslar, Henning von Lange) berühmt wurde.
Das Projekt 99euro-films, das Kahl gemeinsam mit dem Leiter des Filmfest Oldenburg Torsten Neumann, ins Leben ruft, eröffnet mit dem gleichnamigen Film die erste Perspektive deutsches Kino der Berlinale 2002, gefolgt von der europäischen Version des Projektes Europe - 99euro-films 2 mit der Internationalen Premiere auf dem Festival von Locarno im Jahr 2003. Kahl erhält 2005 den Hessischen Filmpreis für seinen Dokumentarfilm Mädchen am Sonntag, der die vier deutschen Schauspielerinnen Katharina Schüttler, Laura Tonke, Inga Birkenfeld und Nicolette Krebitz portraitiert. »Die netten Jahre sind vorbei: Wir brauchen mehr Mädchen am Sonntag... Der Film ist geradezu französisch in seiner Art, einen liebenden Blick auf die Frauen zu werfen« FAZ
Kahls Interesse öffnet sich mit dem Beginn des neuen Jahrtausend auch stärker den filmischen Formen außerhalb des Kinos im Ausstellungs-, Theater- und Performancekontext, hier entstehen diverse Video- und verbundene Performanecarbeiten, u.a. am Bauhaus Dessau, den Kammerspielen München oder dem Ballhaus Ost Berlin, die inspiriert von Warhols Factory oder Christoph Schlingensief sein könnten, mit letzterem war Kahl zur Jahrhundertwende gemeinsam mit Oskar Roehler künstlerisch eng verbunden.
Bedways ist wieder ein Berlin-Film. »Der letzte Tango von Berlin« FAZ und »der aufregendste deutsche Film des Jahres« Spiegel. Bedways feiert auf der der Berlinale 2010 Premiere, die von der amerikanischen Filmzeitschrift Variety so beschrieben wurde »Bedways’ has generated loud buzz«. Kahls kontroverses Werk wird auch international ein großer Erfolg und erzeugt bei seiner Internationalen Premiere als Eröffnungsfilm des Perspectives-Wettbewerbs des als A-Filmfestival gelisteten Moscow Int. Film Festival einen veritablen Skandal.
Für einzelne Auftritte und Rollen kehrt Kahl auch für Kolleg*innen und Freunde vor die Kamera zurück, so zum Beispiel markant in Berlin Calling von Hannes Stöhr, Oh Boy von Jan Ole Gerster bzw. Stadt als Beute von Irene von Alberti. Oder einer seiner letzten Hauptrollen im Film in Top Girl von Tatjana Turanskyj an der Seite von Julia Hummer. In eigenen Filmen steht Kahl nach längerer Abwesenheit auch wieder selbst vor der Kamera.
Im Jahr 2013 führt Kahl der Weg in die USA, ausgestattet mit einem der renommiertesten Stipendien für deutsche Künstler, dem Aufenthaltsstipendium der Villa Aurora Los Angeles. Es entstehen diverse Arbeiten im Anschluss an diesen Aufenthalt, am wichtigsten wird aber seine erste Filmarbeit in Englisch u.a. mit dem Hollywood-Star Deborah Kara Unger: »RP Kahls fabelhafter Film A Thought Of Ecstasy. Ein sehr sinnlicher Film, auch ein bisschen wahnsinnig und in jedem Fall eine großartige Kinoerfahrung« Rolling Stone »Ein surrealer Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann« Süddeutsche Zeitung. Der Film feiert sein internationale Premiere im offiziellen Wettbewerb des als A-Festival kategorisierten Tallinn Black Nights Film Festival. Der experimentelle Kinofilm mit der Musik von Moderat, Modeselektor und Gajek, die für den Soundtrack exklusive Tracks beisteuerten, wird in den USA - wie schon Kahls Vorgängerfilm Bedways - vom renommierten Label Strand Releasing heraus gebracht. »RP Kahl schreibt in A Thought of Ecstasy auf konsequente Art ein im deutschen Kino einmaliges autorenfilmerisches Projekt fort. Unter den Filmemacher*innen des deutschen Gegenwartskinos ist RP Kahl vielleicht der obsessivste. Kahl verfügt über eine, ob man sie nun schätzt oder ablehnt, im deutschen Kino ganz einmalige Handschrift, und in der Inszenierung von A Thought of Ecstasy hat er nicht einen einzigen erkennbaren Kompromiss gemacht. Dies hier ist durch und durch sein eigener Film, sein eigener Traum - ein böser, ein Fiebertraum, vom Kino, von der Stadt und von der Wüste« Perlentaucher
Im Pandemiejahr 2020 startet Kahl im Kunstverein Hamburg und im Ballhaus Ost Berlin sein Projekt Frauentag in New York, ein Re-enactment der Diskussionsveranstaltung A Dialogue on Women's Liberation aus dem Jahr 1971, damals u.a. mit Norman Mailer, Germaine Greer, Jill Johnston und Susan Sontag, heute mit Saralisa Volm, Celine Yildirim, Luise Helm, Heike-Melba Fendel, Kahl selbst und vielen anderen. Dieses Projekt mündet schließlich 2021 im Film Als Susan Sontag im Publikum saß. Beim Filmfest Oldenburg war Michael Mailer, der Sohn der männlichen Hauptfigur im Film - Norman Mailer, anwesend und bewertete im Anschluss an die Premiere das Ganze so: »Super, RP, du warst fast wie mein Vater. Und überhaupt ist der Film ganz wunderbar« NWZ Der Film eröffnete 2022 im Berliner Kino International das Achtung Berlin Film Festival und gewann den Juryhauptpreis beim Lichter Filmfest Frankfurt International. Die Süddeutsche Zeitung bewertete zum Kinostart den Film so: »Ein spannendes Bild des feministischen Diskurses der Gegenwart« und Radio Eins meinte: »Ein großartiger Dokumentarfilm«.
Neben seinen eigenen Aktivitäten als Künstler zeichnet Kahl die Neugier und das Interesse für Arbeiten anderer aus. So bringt er als Herausgeber diverse Filme internationaler Regisseure auf dem Label Independent Partners Film heraus, wie zum Beispiel den erfolgreichen deutschen Kinostart von Larry Clarks Ken Park. Kahl ist Mitbegründer des erfolgreichen Arthouse-Labels Good Movies. Er war über viele Jahre hinweg Mitglied der Auswahlkommission des Kurzfilmwettbewerbs der Berlinale und wirkt aktuell fast 20 Jahre als Programmer des Filmfest Oldenburg - »The German Sundance« Welt am Sonntag. Er war einer der drei geschäftsführenden Vorstände der Deutschen Filmakademie, ist Mitglied im Advisory Board des Filmfest Oldenburg und gemeinsam mit dem Filmwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger Direktor des Berlin Film Institut.
Seit Anfang der 2000er lehrt Kahl an diversen Hochschulen, Universitäten und Kunsthochschulen, wie der DFFB Berlin, der Akademie der Bildenden Künste München oder der Stiftungsuniversität Hildesheim. 2018 folgt Kahl dem Ruf auf eine Professur für Film an die Dekra I Hochschule für Medien Berlin und gründet hier einen eigenen Studiengang Schauspiel und Inszenierung. Im Jahr 2020 folgt Kahl einem Ruf als Professor an die SRH University Berlin School of Popular Arts.
Kahl lebt und arbeitet in den letzten Jahren in Los Angeles, Berlin und einer kleinen Stadt in Mecklenburg-Vorpommern. Im Herbst 2020 feierte die «Indie-Legende« Der Freitag und das »Enfant Terrible« Deadline RP Kahl sein 25jähriges Jubiläum als Filmemacher und das seiner Filmfirma, die er neu Studio RPK benennt.